Italien

Eine Frage, die nicht vergehen will: Was ist ein Kommunist?  
Italiens linke Presse in der Krise

In keinem anderen westeuropäischen Land wurden nach dem Krieg marxistische Revolutionshoffnungen so ernst genommen wie in Italien, haben sich klassenkämpferische Träume so lange gehalten. Nun hat in diesen Tagen auch die linke Tageszeitung "Manifesto" ihren Umsatz- und Ertragseinbruch den Lesern gestanden. "Manifesto" erscheint seit 1971. Seine Gründer Rossanna Rossandra, Luigi Pintor und Valentins Parlato, heutiger Leiter der Zeitung gehörten dem Zentralkomitee des PCI an und wurden 1969 aus der Partei ausgeschlossen nachdem sie die Intervention der Sowjetunion in Prag kritisiert hatten. In seinem kleinen melancholischen Erinnerungsbuch "Servabo" schreibt Pintor: "Wenige widerstehen der Versuchung zurückzuschauen, in dem Wunsch, den Dingen eine Dauer zu geben, die sie von Natur aus nicht haben."

"Manifesto" hat immer zwischen stalinistischer Abweichung und kommunistischem Ideal unterschieden. In diese Zeitung wurden nie Rubel gestopft. Als Blatt mit historischer Tiefendimension wird es von denen geliebt, die sich noch immer nicht dem Utopie- und Ideologieverlust fügen wollen. Neben "L`Avvenire", dem Organ der italienischen Bischofskonferenz, ist Manifesto" die einzige Zeitung die im Kollektiv herausgegeben wird.


Hier arbeiten 125 Journalisten und Drucker, die alle den gleichen Lohn, zweitausend Mark monatlich, erhalten. (...) "Manifesto" hat seit dem vergangenen Jahr 15 000 Leser verloren und sich bei 35 000 Exemplaren eingependelt. Es gibt in Italien auch noch richtige, standfeste Kommunisten in der "Partei der Wiedergründung des Kommunismus", deren Stimmen man sogar in der Abgeordnetenkammer zur Mehrheit benötigt. Ihr Führer, Fausto Bertinotti, hat Mitte Oktober dem Ölbaumpflanzer Prodi gezeigt, was eine Harke ist. Durch seine Forderung nach der 35-Stunden-Woche gefährdete er den Bestand der Linkskoalition und verursachte eine "unvollendete Regierungskrise". In jenen spannungsvollen Tagen, als Italiens Weg nach Europa versperrt schien. verdoppelte ,Manifesto" seine Auflage.

Italiens leibhaftige Kommunisten verfügen über eine eigene Parteizeitung, "Liberazione", die im vergangenen Sommer von vierundzwanzig Seiten auf acht schrumpfte, ohne zu gesunden. Die angekündigten Entlassungen führten auch hier zum Streik. Das Blatt erscheint in einer Auflage von 8000 Exemplaren. Zum ersten Mal seit Kriegsende wird in Italien eine Regierung von der Linken geführt, wird gleichzeitig die Meinungsvielfalt durch die Krise der linken Zeitung bedroht. Die auflagenstärksten Tageszeitungen befinden sich in den Händen branchenferner Wirtschaftsunternehmen.

Ute Diehl in der FAZ vom 29. Nov. 1997 Artikelüberschrift: Zeitung in der Zelle. Hervorhebung des Untertitel durch uns.